Ich möchte gerne eine kleine und sehr subjektive Geschichte über mein Leben am Sonnenhof teilen. Es geht um etwas das in vielen Gemeinschaften oder Gemeinschaftsinitiativen früher oder später „zum Thema“ wird. Es geht um Emotionen.
Jochen Dambacher hat mich vor Kurzem auf ein Video des GfK-Trainers Markus Fischer aufmerksam gemacht, in dem er eine Filmszene der Fernsehdoku „Die Burgis“ analysiert. Beide Formate (die Analyse und die Doku) sind sehenswert und im unteren Bereich des Textes verlinkt. Die Filme und verschiedene Vernetzungstreffen im vergangenen Jahr haben mir sehr geholfen, bestimmte Prozesse hier am Hof besser zu verstehen.
Ich lebe seit fast zwei Jahren am Sonnenhof, dem ersten Hausprojekt des Öko.See.Dorfes. In der Gründungsphase und vor dem Einzug hatte ich recht diffuse Vorstellungen davon, wie sich das Leben in einer so intensiven Form der Gemeinschaft für mich entwickeln wird… wie sich mein Alltag gestaltet… womit ich kämpfe und worüber ich mich freue… welche Themen dazu kommen und welche weg fallen.
Eine Sache habe ich in der Zeit vorab definitiv unterschätzt: Welchen Anteil meine und unser aller Emotionen haben werden und wie herausfordernd es ist, damit in einer größeren Gruppe gut umzugehen.
Seit den ersten Wochen des Zusammenlebens haben wir viele Formate ausprobiert. Angefangen haben wir mit der Wut-Sau, einem großen Sparschwein, das sich über Zettel mit „Wut-Momenten“ gefreut hat. Diese haben wir zu Beginn des Plenums geteilt. Die Wut-Sau wurde dann zur Emo-Sau, um die Gefühlswelt etwas zu erweitern (Wann hatte ich Momente der Trauer oder auch der Freude?). Über die Monate haben wir aber gemerkt, dass sich immer mehr Themen aufgestaut haben, die zu diffus / komplex oder auch zu groß waren um sie auf einen Zettel zu schreiben. Ich habe bei vielen Bewohnern (inklusive mir selbst) eine große Hilflosigkeit erlebt – Wie sollten wir damit gut umgehen? Ist das jetzt der Anfang vom Ende…oder ganz normal?
Jochen hatte sich dann im Spätsommer 2022 einen Sonntag Zeit genommen, um uns zu begleiten „alles Angestaute“ einmal los zu werden. Aus dem geplanten Vormittag wurden über 8h gemeinsamen Austauschs. Inspiriert von dieser Erfahrung und gefüttert mit Vernetzungsgesprächen am Tempelhof, versuchten wir anschließend ein für uns passendes und regelmäßiges Format einer Emotions-Runde zu finden. Der grobe Gedanke: Etwa alle zwei Wochen ein gemeinsamer Abend mit Raum für Emotionen und ohne das Ziel konkrete Lösungen zu schaffen. Einfach loswerden, gehört werden und aktiv zuhören.
Aus einer zweiwöchentlichen „Emo-Runde“, also ein Abend alle 14 Tage, der einfach nur da war um sich emotional mitzuteilen (Experiment 1), wurde nach einigen Wochen der „WIR-Kreis“ mit angepasster Frequenz aber gleichem Inhalt (Experiment 2). Die WIR-Kreise waren jedoch häufig nur schmal besetzt, was unter anderem an der insgesamt zu hohen Meeting-Frequenz lag. Es folgte ein drittes Experiment von erneut 2 Monaten Zeit und vergangene Woche haben wir ein leicht angepasstes Format gefunden, bei dem wir nun erst mal bleiben wollen.
Als ich die Analyse des Videos gesehen habe, habe ich mich ertappt gefühlt. Denn auch wir hatten im vergangenen Jahr immer wieder die Diskussion: Was ist denn nun eine Emotion? Wie drücken wir uns aus? Wo schweifen wir thematisch ab und welche Atmosphäre / welche Regeln braucht es um in eine gewissen Tiefe zu kommen? Wie gehen wir mit Abwesenheiten um? Und was ist wenn wir das Ganze nicht mehr eingefangen bekommen?
Ich persönlich bin total stolz auf unser gemeinsames Ringen um den Raum für Emotionen. In den letzten zwei Jahren habe ich mehr über mich als Person, über meine Gefühlswelt, über Eigenheiten und Stärken gelernt, als in vielen Jahren zuvor. Und diese diffuse Vorstellung von „Leben in Gemeinschaft“ hatte ich dann glaube ich doch irgendwie.
Ich möchte mich hiermit bei allen Sonnenhöflern, beim Öko.See.Dorf, beim Tempelhof, dem internationalen GEN-Netzwerk und ganz besonders bei Jochen Dambacher bedanken. Danke für die vielen Impulse und die Möglichkeit für meine ganz persönliche Lernreise in Bezug auf Emotionen!
_____
Markus Fischer – Konflikte in Lebensgemeinschaften auf YOUTUBE
„Die Burgis“ – Dreiteilige Serie im ZDF
___
Bild von Gordon Johnson bei Pixabay
Liebe Jessica
Vielen Dank für deinen persönlichen und berührenden Beitrag. Den Youtube Beitrag von Markus Fischer fand ich so spannend, dass ich gleich weitere Beiträge von ihm gehört habe. Sehr sehenswert seine Auseinandersetzung mit der gewaltfreien Kommunikation. Er erklärt darin hervorragend den Unterschied, wenn GFK nur als Technik angewendet wird oder wenn sie uns darin unterstützt die eigene Empathiefähigkeit zu verbessern.
Vielen Dank für diese Anregung.
herzliche Grüße Susanne