Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck oder von der Qualität der Zeit !

Vor einigen Stunden bin ich vom Gemeinschaftsbildungswochenende zurückgekehrt. Noch völlig beeindruckt von dem Erlebten, ist es mir ein Bedürfnis, über einen Beitrag zu unserem Blog ein wenig meine Erlebnisse zu teilen.

Im Arbeitskreis Gemeinschaft war uns die Idee gekommen, das von Gabriele Kaupp von der Gemeinschaft Schloss Tempelhof an diesem Wochenende in Überlingen angebotene „Seminar Gemeinschaftsbildung“ für UNSERE Gemeinschaft zu nutzen. Es erschien uns als eine brillante Idee.

Leider konnten dann doch im weiteren Verlauf etliche Ökoseedörfler, die angegeben hatten an diesem Wochenende Zeit zu haben, aus verschiedenen Gründen nicht an dem Seminar teilnehmen, so dass wir letztlich „nur“ mit 8 Personen vom Ökoseedorf anwesend waren.

Auch ich hatte meine Bedenken, hatte eine sehr arbeitsintensive Woche hinter mir, seit Montag einen Tinnitus im rechten Ohr und fühlte mich noch Freitagmittag kaum in der Lage, ein so langes, vermutlich sehr arbeitsintensives Wochenende durchzustehen. Innerlich hatte ich mir schon einen Ausweg zurechtgelegt, wenn der Tinnitus mich zu sehr geplagt hätte, wäre ich ausgestiegen.

Aber da Zeit nicht nur eine messbare Qualität in ihrem Ablauf (Chronos) hat, sondern jedem Augenblich auch eine bestimmte Qualität innewohnt (Kairos), kam es ganz anders als erwartet.

Wir saßen also am Freitagabend zum ersten mal zusammen. 20 Menschen, die sich alle für das Thema Gemeinschaft interessierten, aus verschiedenen Beweggründen und verschiedenen – mehr oder weniger weit entwickelten Gemeinschaften. Alle hatten sich bereit erklärt, die formulierten Empfehlungen zu befolgen und zu bleiben, auch wenn es schwierig würde …

Gabriele Kaupp erklärt: „Scott Peck sagt ausdrücklich, dass es eben keine „Regeln“, sondern „Empfehlungen“ sind. Wir machen sehr schnell Regeln daraus und werden dann mit der eigenen inneren und äußeren Autorität konfrontiert  und mit Fragen wie: „Darf ich das?“ „bin ich konform“, „was passiert, wenn ich aus der Rolle falle“? Wer bin ich, wenn mir niemand mehr sagt, was es zu tun gibt und wo’s langgeht? Letztendlich geht es um eine radikale Subjektivität und Eigenverantwortlichkeit.“

Dann ging die Reise auch bereits los… Ein Wochenende ohne Programm auf einem „Schiff“ ohne Leiter in einer „Group of all leaders“.

Die Reise führte „durch unterschiedliche Phasen, die nahe dem Gemeinschaftsalltag sind:

Sich einlassen, den Vertrauensboden überprüfen, Individualitäts- und Chaosphase, gemeinsam durch Nadelöhre und Unterschiedlichkeit gehen, ehrlich werden, sich verletzlich zeigen, Stille einladen, Verbundenheit und Vertrauen erfahren“.

Im Grunde dreht es sich dabei auch um die Integration von Achtsamkeit in ein Miteinander der Gruppe von Menschen, ein achtsamer Umgang miteinander, achtsame Kommunikation, achtsam mit den Eigenheiten jedes Einzelnen umzugehen, achtsam mit sich selbst und seinen Empfindungen, so sein lassen, erkennen der eigenen Grenzen der Toleranzschwellen und Wahrnehmung der der anderen Menschen in der Gruppe, niederlegen der Vorurteile und Kategorisierungen, der Labels, die ich selbst anderen sofort zuschreibe und zulassen, das jeder auf seine Weise ist und wertvoll als Einzelner genauso wie für und in der Gemeinschaft.

Durch das Ringen um diese Grenzen und die individuellen Standpunkte in der Dynamik der Gruppe entsteht fast von selbst über unterschiedliche Phasen eine Gemeinschaft in der Gruppe. Es bedarf dazu keines Leiters oder Führers. Nur gelegentlich bedarf es eines „take a risk“ dafür.

Mir selbst sind dabei verschiedene Dinge klar geworden.

1. Es fällt mir leicht, in einer solchen wohlwollenden Gruppe meinen Platz zu finden und einzunehmen. Und diese Art miteinander zu arbeiten liegt mir sehr und hat für mich eine Leichtigkeit, die ich so überhaupt nicht erwartet hatte.

2. Es tat mir gut, als Teil der Gruppe nicht selbst führen zu müssen, wie es in meinem Alltag von mir erwartet wird.

3. Gehört und gesehen zu werden, wahrgenommen zu werden ohne irgendjemandem irgendetwas beweisen zu müssen, dennoch Einfluss nehmen zu können auf den Prozess, den Kurs, ohne selbst der „Macher“ sein zu müssen.

Nicht wie in meinem beruflichen Alltag, wo ich Kapitän und Steuermann zugleich bin und für den Kurs und das ganze Schiff allein Verantwortung trage.

So konnte ich mich in der „group of all Leaders“ fast ein wenig entspannen und Kraft tanken. Sogar der Tinnitus verschwand am Samstag ganz von selbst.

So wurde aus einem langen Wochenende, von dem ich erwartet hatte, dass es mich sehr viel Kraft kosten würde,  eines, in dem ich sehr viel Energie tanken konnte. Die temporäre Gemeinschaft, die bis Sonntag entstanden war, gab mir unheimlich viel Energie.

Als ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt hatte (Kairos) war mir das nicht bewusst gewesen, aber es war genau das Richtige zum  richtigen Zeitpunkt, um mich in meinem Gemeinschaftskontext wieder ein Stück weit voran zu bringen.

Ich wünsche mir diesen Prozess sehr bald für unser ganzes Ökoseedorf, weil ich überzeugt bin, dass es uns als Gemeinschaft voran bringen wird und uns helfen wird unserer Vision wieder ein Stück näher zu kommen.

Axel

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