Ich gebe es zu, ich hatte mir diesen Beitrag einfacher vorgestellt. So etwas mehr technisch faktisch, so wie Geld halt, zählbar mit einem klaren Wert. Aber Geld 💵und deren Wirkung ist so viel mehr …. Also steigen wir ein 😊
In diesen Tagen haben wir im Lenkungskreis über die ersten monetären „Honorare“ an Öko.See.Dorf Menschen entschieden. Das ist ein Zwischenergebnis einer mehr als einjährigen Entwicklung.
Aus vielen Gesprächen, Zusammentreffen mit anderen Gruppierungen und Genossenschaften wurde schnell klar, dass ein Wirtschaftsbetrieb wie unsere Genossenschaft nicht ausschließlich im Ehrenamt geführt werden kann. Bereits zur Gründung der Genossenschaft 2020 haben wir die Möglichkeit von monetären Leistungen vorgesehen. Warum auch nicht?
Wir akzeptieren die Honorierungen von externen Partnern wie Architekten, Steuerberatern und Trainern wie selbstverständlich. Durch den Zugewinn an Erfahrung und Expertise werden aber auch mehr und mehr Aufgaben durch „eigene“ Menschen in hoher Qualität erbracht. Teilweise bilden wir uns auf privater Ebene weiter, um diesen Aufgaben gerecht zu werden und investieren somit Zeit und Geld. Die klare Trennung zwischen professionellem Zukauf und eigener Wertschöpfung verschwimmt.
Warum eigentlich Ehrenamt?
Die Frage, warum man für Arbeit bezahlt, kann man auch umdrehen und fragen warum Arbeit und Wertschöpfung erbringen ohne finanzielle Honorierung.
Kein Mensch tut etwas ohne eine intrinsische Motivation. Im eigentlichen Ehrenamt sind dies oft gemeinnützige Ziele, die Zusammenarbeit in einer gemeinschaftlichen Interessengruppe und Tätigkeiten, die eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Mann bringt Zeit ein, oft auch Expertise und teilweise auch monetäre Aufwendungen. Ich denke an die freiwillige Feuerwehr, die Mitarbeit bei der Solawi oder das Engagement in der Flüchtlingsarbeit. Bei all diesen Tätigkeiten steht der faktische Eigennutz nicht im Vordergrund.
Siehe auch meine Ausführungen zu „8-Währungen“
Das Öko.See.Dorf hat sich auch über Jahre aus dem Ehrenamt gespeist. Tausende von Stunden sind in die Konzeption, Planung, Ausgestaltung von Organisation, der Gruppe und der Inhalte geflossen. Seit 2 Jahren vergeht keine Woche, in der ich nicht mindestens einen Abend in Zoom Meetings in der einen oder anderen Projekt- und Arbeitsgruppe verbringe.
Und dabei merke ich, dass sich mein Antrieb gewandelt hat. Ging es zuerst noch darum sehr zeitnah ein konkretes Wohn- und Lebensmodell für mich selbst zu schaffen, so wandelte sich diese Motivation hin, das größere Ganze zu sehen. Heute möchte ich auch für andere bezahlbaren Wohnraum schaffen. Ich möchte Freunde und Netzwerke finden. Ich möchte Wertschätzung und Anerkennung im Kreise Gleichgesinnter erfahren.
In der Soziokratie würde man diese intrinsische Motivation als Spannung bezeichnen. Es ist der Antrieb, der mich diesen Text schreiben lässt, den nächsten Wirtschaftsplan prüfen lässt, die Mitgliederversammlung organisieren lässt usw. usw.
Wo ist die Grenze des Ehrenamtes?
Ehrenamt leistet immenses. Also warum braucht es Geld?
Ehrenamt beruht auf Freiwilligkeit, also dann, wenn man Zeit und Lust zu etwas hat. Hier kommen wir an die Grenzen, die für die Führung und Gestaltung eines Wirtschaftsbetriebes notwendig sind.
Es gibt Verpflichtungen, die von außen an uns gestellt werden, aber auch interne Verpflichtungen gut und sicher mit unseren Einlagen umzugehen, unsere Immobilien im Wert zu erhalten und unsere Gemeinschaft zu pflegen.
Wir haben dies als V³ Tätigkeiten definiert. Es braucht
- Verbindlichkeit (also die Verpflichtung etwas Versprochenes zu tun)
- Verfügbarkeit (sich Zeit zu nehmen und innerhalb des Zeitrahmens zu liefern)
- Verantwortung (sich der Tragweite des Handelns bewusst zu sein und dafür einzustehen)
Daraus abgeleitet müssen diese Tätigkeiten auf Basis von Wissen und Erfahrung erbracht werden.
Ein zweites Kriterium ist die individuelle persönliche Situation. Dies erkennt man daran, dass gerade ältere Menschen im Ehrenamt tätig sind. Man muss es sich zeitlich und finanziell leisten können.
Wenn es sich also um V³ Tätigkeiten in der Genossenschaft handelt, sind diese nach unserer Definition geeignet zur Honorierung. Wenn der einzelne Mensch auf eine finanzielle Honorierung verzichten kann, ist das für die Gruppe angenehm aber nicht in allen Fällen gegeben.
Wie ist nun das Zusammenspiel?
Aktuell haben wir über 100 Menschen auf unserem eigenen sozialen Netzwerk im Austausch. Davon sind ca. 25 Menschen in Arbeitskreisen und Projekten regelmäßig aktiv. Weitere 10 Menschen sind wöchentlich mit mehreren Stunden mit dem Öko.See.Dorf befasst. Für 7 Menschen haben wir eine erste finanzielle Honorierung nach V³ beschlossen.
Die Zusammenarbeit zwischen Allen erfolgt nach unseren soziokratischen Kreisstrukturen.
Woher kommt das Geld?
Als Genossenschaft verwalten wir aktuell unser erstes Projekt den Sonnenhof mit einem Bilanzvolumen von >2 Mio. €. Weitere 4 Projekte stehen in den Startlöchern. Als Dachgenossenschaft ist es möglich in kürzester Zeit ein Bilanzvolumen von >10 Mio. € zu erreichen. Die Budgets können wir in zwei Phasen unterscheiden. Erstens die Projektentwicklung und Bau-/Renovierungsphase und zweitens die Nutzungsphase.
In der Projektentwicklung und Bau-/Renovierungsphase werden einmal Budgets für alle Honorare geplant. Dazu gehören Architekten und Planer, Projektsteuerer und Begleiter, notwendige Schulungen und Moderationen. Diese Kosten fliesen in den Immobilien wert mit ein.
In der Nutzungsphase ergeben sich Kosten für Verwaltung extern und intern. Diese werden über das monatliche Nutzungsentgelt und die Umlagen getragen.
Uns ist es wichtig, dass alle Gelder „verursachungsgerecht“ geplant und gezahlt werden. Wir haben keine generellen Töpfe, sondern zugeordnet zu Hausprojekten oder in kleinem Maß zur Gesamtorganisation.
Wie sieht der Prozess der Honorierung aus?
Ich hoffe Ihr habe bis hierher durchgehalten. Großartig vielen Dank.
Aber jetzt die Frage wie kommt es denn nun zu einer Honorierung. Dazu hat sich der Arbeitskreis Finanzen viele Gedanken gemacht. Hier das vereinfachte Schema:
- Die Person die Vergütung anstrebt, formuliert das betroffene Arbeitspaket und die Höhe und Form der Vergütung
- Der AK Finanzen überprüft mögliche Budgets
- Beide Informationen gehen an den Lenkungskreis. Dieser entscheidet nach Aussprache,
a. Vergütungsantrag wird angenommen
b. Suche nach Alternative im Ehrenamt
c. Suche nach externem Anbieter
Was ist nun aktuell entschieden worden?
Im Rahmen des Kaufes vom Sonnenhof 2021 fanden umfangreiche Gespräche, Treffen, Prüfungen und Abstimmungen statt. Dem Kern der Beteiligten wurde dafür eine pauschale Vergütung in Höhe von 600 € aus dem Sonnenhof Projektentwicklungsbudget angeboten. Betroffen sind Brigitte, Jessica, Jochen, Linde, Marinus, Roland und Solveig. Teilweise werden die Beträge zurückgespendet oder z.B. für den Kindergarten weder eingesetzt.
Für die kaufmännische Verwaltungstätigkeit für das Hausprojekt Sonnenhof erhält Solveig eine Vergütung von 160 € / mtl. auf Minijob Basis.
Für die Verwaltung der Genossenschaft / Struktur & Pflege der Online-Dokumentation (Nextcloud) und der Organisation der externen Kommunikation mit offiziellen Stellen erhält Brigitte eine mtl. Pauschale von 400 € auf Honorarbasis.
Fazit
Wir haben uns lange mit den Kriterien, dem Prozess und der individuellen Anerkennung beschäftigt. Dies war und bleibt ein intensiver Lernprozess.
Geld macht was – es ist Ausdruck von Leistung und Wertschätzung. Es ist Aufhänger zum Vergleichen und Messen. Davon können auch wir uns nicht losmachen.
Dennoch ist es uns gelungen – bei aller Vielartigkeit – einen ersten transparenten Ansatz zu finden. Dieser darf sich weiterentwickeln.
Nach meiner Meinung ist unsere Gruppe ist auf einem guten Weg, professionelles risikobewusstes Wirtschaften mit unserem gemeinschaftlichen wertebasierten Umgang miteinander im Einklang zu halten. Das ist schon was.
🙏 Danke an jeden, der diesen Text bis hierher gelesen hat 😊;
🙏 Danke an die Vielen die an diesem Prozess so leidenschaftlich mitgewirkt haben
herzliche Grüße
Roland Ehry | Wangen 5.5.2022 (PS: dieser Text ist im Ehrenamt entstanden)